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JULIA EGGER, MARTIN SANTNER – 39NULL

Interview

“Die Sehnsucht nach Gedrucktem ist groß”

Neununddreißignull – das sind die ersten drei Ziffern einer Postleitzahl. Mit ihnen gelangen Postkarten, Briefe und Pakete – seit knapp zwei Jahren aber auch ein Magazin – nach Südtirol. 39NULL heißt es und widmet sich monothematisch kulturellen und gesellschaftlichen Themen und wurde von vier in Berlin lebenden SüdtirolerInnen gegründet. Mittlerweile arbeiten sieben Personen an dem Projekt. Wozu noch ein Kulturmagazin, werden sich jetzt viele fragen? Weil es ein Leidenschaftsprojekt ist, sagen die Macher. Auf der Website des Magazin beschreibt sich das Magazin wie folgt:

“39NULL blickt nach Südtirol, aber auch weit über seine Grenzen hinaus blickt. Es erscheint einmal jährlich als fundiertes, mehrsprachiges Themenheft mit anspruchsvollen Inhalten und einem klaren Layout. 39NULL schaut hin, hört zu, stellt Fragen, kritisch, hellwach, zugewandt. Es will Aufmerksamkeit schärfen, informieren, ohne zu belehren, und komplexe Inhalte zugänglich und verständlich aufbereiten. 39NULL reflektiert den Zeitgeist, befragt Akteure des kulturellen Lebens, erzählt persönliche Geschichten und beleuchtet unterschiedliche Standpunkte.”

Nach “Kommen, Bleiben, Gehen”, “das Fremde” und “Macht und Ohnmacht”, arbeitet das Team an der mittlerweile vierten Ausgabe, die Anfang nächsten Jahres erscheint. EINS EINS EINS hat Artdirektorin Julia Egger und Chefredakteur Martin Santner getroffen.

In welchem Magazin habt Ihr zuletzt vor diesem Interview geschaut?

J: Ich hab gestern im Supermarkt kurz in die MONOPOL geschnuppert, weil da etwas über die Biennale stand, für die das Grafikbüro, für das ich arbeite, einen Auftrag erlegit hatte. Mich hat natürlich dann interessiert, was die über die Biennale schreiben.

M: Ich muss ehrlich gestehen, ich hab als allerletztes die Zeit gelesen und das ZEIT MAGAZIN angeguckt.

Welcher Artikel oder Bild ist euch aus diesem Magazin besonders in Erinnerung geblieben?

M: Also, mir blieb das ZEITMagazin in Erinnerung, weil es ja eine Arabisch-Deutsche Ausgabe ist. Das fand ich sehr spannend.

J: Ja, da ist das gesamte Heft sehr schön gestaltet. Besonders mit diesen Doppelcovern.

Zu welchem Magazin greift Ihr bei euerem Arzt im Wartezimmer?

J: Da liegen meist nicht so interessante. Ich war gestern beim Arzt, da hab ich dann kurz die ZITTY angeschaut. Da war nun leider nicht die große Auswahl.

M: Bei meinem Arzt vor zwei Wochen waren leider auch nur die Gala und sämtliche Klatsch und Tratsch Presse vertreten, Lesezirkel etc. Ich hatte glücklicherweise ein Buch dabei.

Welches sind eure drei Favoriten unter den Magazinen?

M: Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, dass ich ein Magazin mache und mich eigentlich gar nicht mit Magazinen auskenne. Ich weiß nicht, wer grad was Neues macht und was angesagt ist. Ich lese hauptsächlich alles, was mit Politik, Kultur und Gesellschaft zu tun hat, deswegen auch unser Magazin, das in diese Richtung geht. Klar, kenn ich das Dummy Magazin, das ich auch hin und wieder lese, sowie den Cicero, den European oder Fluter.
Ich möchte aber auch das Heft von der Heinrich-Böll-Stiftung erwähnen, das ich ziemlich gut finde und regelmäßig lese. Da geht es dann hauptsächlich um die Arbeit, die sie machen: Einwanderung, Umwelt, Politik in Deutschland. Das ist für ein Gratisheft – ähnlich wie das Fluter- inhaltlich und gestalterisch sehr ansprechend. Ansonsten bin ich eher Zeitungsleser und Bücherwurm.

J: Ich schau mir immer die neuen Magazine an, wie sie so gestaltet sind. Aber da gibt es keinen speziellen Favoriten.

M: Aber, du hast doch viele Magazine zu Hause…?

J: Ja. Viele verschiedene. Aber da gibt es kein Magazin, das ich mir regelmäßig hole.

M: Ich glaube, wenn du ein Magazin machst ,ist es gar nicht so schlecht, nicht zu wissen, was andere so machen, weil dann kann man sich besser auf sein eigenes Ding konzentrieren und vergleich sich nicht. Es ist dann eher das eigene Interesse, mal den SPIEGEL zu lesen, wenn einem die Covergeschichte anspricht, oder mal das ZEIT Magazin. Also, ich bin jetzt nicht Fan von irgendwas.

J: Die neuen Magazine sehen eben leider auch immer alle gleich aus. Ich denke, ein Magazin ist inhaltlich interessanter, wenn es von der Gestaltung her nicht so super ist. Meistens ist ein interessantes Magazin tatsächlich eher SPIEGEL, wo die Themen dann im Vordergrund stehen. Die neuen Magazine sind ja meist Mode- oder Reisemagazine.
Wir finden eher die Konzepte von Magazinen interessant. Jetzt hat einer aus unserer Gruppe ein Magazin mitgebracht, Delayed Gratification. Da geht es darum, das jedes Jahr das zusammengefasst wird, was im Vorjahr in diesem Zeitraum Thema war. Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Interessante Idee, wie ich finde.

M: Ja, das ist wirklich was Neues und ein interessantes Konzept. Vor allem, weil es die Schnelllebigkeit der Nachrichtenberichterstattung aufzeigt, sich aber als Printmedium die Zeit nimmt, ein Jahr später nochmal nachzuschauen, was passiert war bzw. wie es heute, ein Jahr später, aussieht.
Da fällt mir ein, das neue Paradiso – das ja jetzt Il Paradiso heißt – habe ich mir vorgestern angeschaut.

J: Was ich auch noch vom Konzept her gut finde, ist der Flaneur. Dadurch, dass die sie sich immer eine spezielle Straße raussuchen, bekommen sie dann dort einen guten Bekanntheitsgrad.

Gibt es ein Thema, welches Ihr auf dem Magazinmarkt vermisst?

J: Ich denke, alle Themen sind relativ gut bedient. Es gibt ja für alles ein Magazin heutzutage.

M: Ich vermisse Magazine, die unsere Gesellschaft abbilden. Was zwar viele tun – jedoch alles sehr nieschig machen. Das heißt: man braucht immer dieses Special Interest, um es zu konsumieren. Mir fehlt ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmagazin, welches von jungen Leuten gemacht wird und zeigt, wie sie die Situation sehen. Nicht auf Lifestyle ausgerichtet, sondern das sich wirklich kritisch und differenziert sich mit der Materie auseinandersetzt. Ein Magazin, das diese Lücke erkannt hat, ist das Outpost Magazin aus Beirut. Das spricht mich an, weil es mutig ist, Fragen über den Zustand unserner Geselleschaft aufwirft,  kulturelle Tabus infrage stellt, in die Tiefe geht und wirklich meine Neugier and Wissen stillt. Zudem sieht es sehr gut aus.

J: Aber sowas gibt es doch eigentlich schon. Die Dummy zum Beispiel.

M: Ja schon. Dummy find ich auch gut. Ich denke, dass davon die ersten Hefte noch richtig rebellisch waren und waren wirklich eine Alternative zum Rest. Heute wird da auch schon wieder eine Leserschaft angesprochen, die sehr Life-Style orientiert ist. Es ist  nicht mehr so super kritisch. Auch den Fluter, der ja auch mit Dummy zusammenarbeitet, find ich spannend. Allerdings wird der von einer politischen Stiftung herausgegeben und da ist es ja klar, dass die sich dazu motiviert fühlen, politische Themen aufzugreifen.

J: Mir fehlt kein Themenschwerpunkt ein, bei dem ich jetzt sagen würde, der fehlt mir ganz und gar. Denn es gibt ja wirklich für alles ein Magazin.

Welche Rolle nimmt das Printmagazin in unserer Gesellschaft ein?

M: Trotz des Vormarschs des Internets, spielt für mich persönlich Print noch immer eine sehr große Rolle – somit auch Magazine. Ich stamme noch aus der analogen Printzeit, in der es keine Online Magazine oder Blogs gab. Das heißt natürlich nicht, dass ich keine Informationen aus dem Internet ziehe, aber ich mag es, von einem Magazin aus Papier entschleunigt zu werden.  Es gibt ja auch wieder ein Revival der Printmagazine, auch wenn die meisten sehr klein sind und es auch moistens auch bleiben.

J: Wie wichtig ein Magazin für die Gesellschaft ist, hängt, glaube ich, von der Größe, also der Auflage, der Reichweite und somit von der Wichtigkeit des Magazins ab, wie meinungsbildend es ist und wie breit die Informationsvermittllung stattfindet. Ich glaube, es ist sehr interessant, dass dieses Revival des Printmagazins, viele junge Leute motiviert, selbst etwas auf die Beine zu stellen, dass sie ihre Ideen und Gedanken mit andren Teilen wollen. Die Sehnsucht nach Gedrucktem scheint doch groß zu sein.
Für mich als Gestalterin spielen Haptik und Optik eine zentrale Rolle, aber auch der Inhalt, vor allem die Bild-Textsprache. Das kann ein Online Magazin  eben nicht gleichermaßen bieten.

M: Das gedruckte Wort hat einfach eine längere Haltbarkeit. Wenn ich sehe, dass  zwischen Titel und Rücken nicht nur Bilder, sondern auch Text enthalten ist, dann spricht mich das an, weil ich sehe, dass jemand etwas kommunizieren möchte. Ob der Inhalt dann gut ist, ist fraglich. Was auffällt, ist, dass es ein großes Mitteilungsbedürfnis gibt. Wenn du ein gedrucktes Magazin vorliegen hast, nimmst du es auch eher nochmal in die Hand. Denn wenn du online etwas liest und dir nicht gerade den Link bookmarkst, dann hast du es schnell verloren. Das Lesen hat dann eine ganz andere Bedürfnisbefriedigung.

Zu 39NULL. Wie fing alles an? Was hat es mit dem Namen auf sich?

J: Ich habe ein Abschlussthema gesucht. Wollte unbedingt etwas im Editorial Bereich machen. Ein Bekannter von mir, der einen  Kulturverein in Südtirol leitet, hat angefragt, ob wir nicht ein Vereinsmagazin machen könnten. Für meinen Bachelor entstand das Konzept. Erst im Anschluss ist dann das Magazin entstanden. Wenn man jetzt die erste Ausgabe anschaut und dann die Dritte, da liegen schon Welten dazwischen.

M: Die Anfangsidee fußte darauf, den recht einseitigen und drögen Printmedienmarkt unseres Heimatlandes Südtirols mit einem neuen, ästhetisch und inhaltlich anspruchsvollen Magazin zu bereichern. An Quantität hat Südtirol für seine Größe ein äußerst breites Printmedienangebot, doch leider lässt die Qualität oftmals sehr zu wünschen übrig. Dazu kommt, dass die monopole Vormachstellung eines großen Verlagshauses, die Etablierung neuer Konzepte erschwert bis unmöglich macht.
Es ist nicht mehr so, dass Südtirol als kleines Alpenland abgeschieden von der Außenwelt vor sich hindümpelt.

J: Im Gegenteil, Südtirol, das ja seit jeher mehrsprachig ist, streckt seine Fühler aus, wird internationaler und weltoffener, vor allem in den Bereichen Kunst, Kultur, Architektur und Design, hat die Bergregion einiges zu bieten. Eine junge Generation steht in den Startlöchern und ist bereit, jetzt die Zügel in die Hand zu nehmen.
Sie sind gut ausgebildet, haben vielfach im Ausland studiert und haben neue, höhere Ansprüche an ihr Leben. Einige von ihnen kehren nach Südtirol zurück und bleiben dort, sie vermissen dann aber auch den Weitblick. Diese Lücke wollte 39NULL schließen.

Gibt es einen Moment, der euch besonders am Herzen liegt, wenn ihr an 39NULL denkt?

J: Viele lange Nächte.

M: Bei jeder Sache, die man selbst auf die Beine stellt, gibt es diese Findungsphase. Was wollen wir? Wo führt das hin? Es wächst etwas heran, für das man verantwortlich ist. Ich kann mir vorstellen, dass sich stolze Eltern ähnlich fühlen? Besonders aufregend ist es, wenn es Feedback gibt.

J: Besonders das Feature im Zeit Magazin und der Süddeutschen Zeitung hat uns sehr gefreut. Das hat sich dann auch gleich beim Verkauf bemerkbar gemacht. (lacht)

Wie finanziert ihr euch?

J: Wir haben mit Crowdfunding angefangen, da wir mit Null gestartet sind. Über die Anzeigen kam anfänglich kaum etwas. Das liegt aber auch daran, dass wir nur wenige und ausgewählte drinnen haben wollten.

M: Allerdings für die nächste Ausgabe werden wir kein Crowdfunding mehr machen. Wir haben eine Kulturförderung bekommen, die uns zumindest schon mal die Druckkosten vorfinanziert.

Nun zum Gesicht des Magazins. Gibt es ein Cover, das ihr gern im Magazinregal gesehen hättet, wozu es allerdings dann nicht kam?

M: Wir waren uns relativ schnell einig.

J: Es gab zwar mehrere Vorschläge aber eher nur, um sich abzusichern.

M: Ich finde, dass das Cover sehr gut zum Thema passt und eben auch am Kiosk catchy ist.

Welche war die schwerste Hürde, die Ihr nehmen musstet?

J: Am Anfang war es sehr schwer, das Ganze an den Markt zu bekommen. Wir mussten ja alle Verkaufspunkte selbst recherchieren und kontaktieren. Der Vertrieb und die Organisation sind schon sehr viel Arbeit, wenn man eigentlich nur kreativ arbeiten möchte. Und wir sind ein Team, allerdings kennt sich davon keiner mit Vertrieb aus. Daher war das schon eine Aufgabe. Wir haben dann einfach irgendwie angefangen.

M: Zugegeben, wir hatten sehr viel Glück, dass uns nicht viele Steine in den Weg gelegt wurden. Ansonsten ging alles über ‘learning by doing’. Am Ende merkt man dann, dass man alles irgendwie schaffen kann, man etwas riskieren sollte und auf sich hören kann. Besonders als Gruppe.

Wie viele seid ihr eigentlich?

M: Also das Kernteam sind vier Leute aus Berlin. Eine dann aus Südtirol, die vor Ort ist und das italienisch-sprachige abdeckt. Seit Kurzem haben wir noch zwei Bildredakteurinnen, die ebenfalls aus Südtirol stammen, allerdings auch in Berlin leben. Wir treffen uns, wenn wir nicht produzieren, einmal die Woche für Verkauf und Vertriebssachen. Während der Produktion sind die Treffen häufiger.

Gibt es Magazine aus der Vergangenheit, die euch beeinflussen?

M: Ich bin eher ein Zeitungsleser. Ich mag Zeitungen, die sagen, was ist, die sich trauen, lange, gut recherchierte Artikel zu bringen; die von ihren Lesern abverlangen, sich Zeit zu nehmen, um sich einem Thema ausführlich zu widmen. Ich mag Essays und Reportagen, weil sie einerseits auf unterhaltender Weise informieren, aber auch auf Verantwortung fußen, eine Geschichte richtig wiederzugeben. Nicht umsonst spricht man von der Königsklasse des Journalismus; ihren Verfassern gebührt vollster Respekt, vor allem, wenn sie investigativ arbeiten, sich manchmal sogar in Gefahr begeben, um uns Außenstehende zu informieren. Es gibt aber auch Magazine, wie das Reportagen, das hier Großartiges leistet, aber auch in Brandeins finde ich immer wieder spannende Reportagen.

J: Ich kenne Magazine eigentlich erst, seitdem ich hier studiert habe. Durch meinen Job habe ich viel Kontakt zu alten Magazinen. Ich finde, dass auch die Aufmachung früher richtig gut war, der Umgang mit Typo, die Schrift- und Bildwahl… der Gesamtauftritt an sich war einfach ansprechender.

Wie entscheidet ihr das Thema für eine neue Ausgabe?

J: Also Martin, unser Chefredakteur, hat da die meisten Ideen.

M: Naja, das ist schon alles sehr demokratisch, aber klar, der Grund, dass ich vielleicht mehr Themenvorschläge bringe, ist, dass das ja auch meine Aufgabe ist. Aber die Themen kommen eigentlich zu mir. Es werfen sic him Alltag Fragen auf, die sich dann zu etwas Größerem entwickeln. So wie beim Thema der 3. Ausgabe Macht und Ohnmacht. Da braucht man nur eine blöde Situation mit dem Chef zu erleben, und schon fühlt man sich bestätigt. (lacht)

J: Die Themen werden dann diskutiert und gemeinsam erörtert. Für mich ist es wichtig, dass ich mir gleich schon eine Vorstellung machen kann, wie es in der Gestaltung aussehen könnte.

M: Meistens wird auch nicht ein konkretes Thema formuliert, sondern es ergeben sich eher Fragestellungen, die uns zu einem ein Arbeitstitel führen.

Wie koordiniert ihr die Aufgabenverteilung?

M: Das war nicht besonders schwierig bei fünf Leuten. Eigentlich macht jeder alles. Wir haben ja auch einen Blog (http://39null.com/blog), den wir zwischen den Printheften bespielen. Das ist zusätzlich viel Arbeit, exklusive Geschichten zu bekommen. Wir sind jetzt dabei, zwei Artikel oder Interviews pro Monat zu präsentieren. Das sind dann ähnliche Texte wie im Heft. Nicht thematisch zur letzten Ausgabe, sondern einfach um Aktuelles zu zeigen. Das ganze auf Englisch, Italienisch und Deutsch.

J: Jeder macht eben das, was er am besten kann. Und die kleinen Sachen, die keiner machen will, teilen wir unteinerander auf. Jetzt haben wir uns ja noch Verstärkung ins Team geholt, dann wird sicherlich alles etwas entspannter…hoffentlich!

Danke für das Gespräch!

J:  Ach ja, die neue Printausgabe kommt im Februar raus.

Foto: Alexander Gehring